Einfach und gut - Vor über zwanzig Jahren, Anfang November 1990, vier Wochen nach Vollendung der deutschen Einheit, begann in Stuttgart eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art: die des Nachtbusses.
Den Anlass hatte die Eröffnung der Stadtbahnlinien U5 und U6 zwischen Stuttgarts Norden und den Fildern gegeben. Mit der Stadtbahn kam man ab dann zwar rasch und bequem in die City, was auch viele Jugendliche dazu bewegen sollte, abends am Wochenende das Auto stehen zu lassen. Doch wie spät am Abend wieder heim kommen, wenn die Stadtbahn gegen 23:30 Uhr allmählich schlafen geht?
Die Idee war so einfach, dass man erst einmal darauf kommen musste: Seit jeher boten und bietet die SSB für ihre Mitarbeiter nächtliche Personalbuslinien an, damit die Kolleginnen und Kollegen aus dem Fahrbetrieb nach Dienstende nach Hause kommen oder umgekehrt frühmorgens rechtzeitig im Depot zur Stelle sind. Es lag also nahe, diesen Verkehr am Wochenende in ähnlicher Form auch für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Deshalb entwarfen die SSB zum Spätherbst 1990 das neue Angebot der Nachtbuslinien.
Neun Linien unter den eigenständigen Bezeichnungen N1 bis N9 bildeten den Grundstock, heute ergänzt durch die N11. Über 300 Haltestellen mit dem charakteristischen Logo eines hellen Ringes auf dunkelblauem Grund gehören seither zum Nachtbusnetz. Überwiegend bedienen die Busse dabei Haltestellen, an denen auch tagsüber andere Linien vorbeikommen. Etwa ein Drittel der Haltestellen sind jedoch nur für die Nachtbusse da. Die SSB-Nachtbuslinien decken dabei besonders die mit Stadtbahnlinien erschlossenen Bereiche ab.
Jede Linie fährt mindestens einen anderen Stadtteil oder Gemeindeteil an und nimmt die am Wege liegenden Ortsteile mit, von der Linie N1 nach Vaihingen bis zur N9 nach Leinfelden und N11 nach Möhringen. So werden jeweils auch Botnang, Zuffenhausen, Gerlingen, Neugereut, Fellbach oder Heumaden angebunden. Zusätzlich werden auf diese Art auch solche Gebiete bedient, die tagsüber von der S-Bahn oder SSB-Buslinien angefahren werden, so Bernhausen, Stuttgarts Universitätsviertel in Vaihingen oder auch Musberg.
Ring und Rendez-vous - Das Prinzip der Nachtbuslinien unterscheidet sich von dem der regulären Buslinien der SSB. Während jene die gleiche Strecke hin und zurück bewältigen, bilden die Nachtbuslinien ab der zentralen Abfahrtshaltestelle Schlossplatz jeweils einen großen Ring, so dass mehrere Stadtteile nacheinander angefahren werden und die meisten Haltestellen nur in einer Richtung vorkommen.
Dadurch brauchen zwar manche Benutzer etwas mehr Geduld, bis ihre Haltestelle kommt. Aber eine solche Führung ist effektiv und spart Fahrzeuge und Fahrer. So können die Kosten im Rahmen gehalten werden. Deshalb kann die SSB im Gegensatz zu manchen anderen Städten bisher wieder auf einen speziellen Nachtbustarif oder einen Preiszuschlag verzichten. Vielmehr gelten in den SSB-Nachtbussen schon immer alle Tickets des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS). Lediglich das Kurzstreckenticket gilt nicht, weil der Abstand der Haltestellen in Anbetracht der langen Fahrstrecken, die zurückgelegt werden müssen, relativ groß ist.
Dass das Angebot ankam, bewies die Tatsache, dass der Verband Region Stuttgart (VRS) das Modell der SSB übernahm und ab dem Jahr 2000 ein eigenes Nachtbusangebot unter dem Produktnamen Nachtaktiv auf die Räder stellte. Gab es bei den SSB-Nachtbussen zunächst nur zwei Abfahrten um 1:15 Uhr und 2:30 Uhr, so kam ab dem Jahr 2002 eine dritte Abfahrt um 3:35 Uhr hinzu. Weil die Linie N1 nach Vaihingen des Andrangs immer weniger gerecht wurde, gibt es seit 2003 eine zusätzliche Linie N11, die den Bereich Universität getrennt von der N1 anfährt und diese entlastet. Gleichzeitig gelten ab dem Schlossplatz die gut merkbaren „Schnapszahlen“ 1:11, 2:22 und 3:33 Uhr.
Erst drei, dann fünf - Die (Nacht-) Geister, welche die SSB damit rief, wurde sie nun erst recht nicht mehr los: 2007 mussten zwei weitere Abfahrten um 2:00 Uhr und 3:10 Uhr eingelegt werden, zumal inzwischen etliche Nachtschwärmer auf die Idee kamen, mit dem Nachtbus nicht aus der City hinaus, sondern überhaupt erst einmal in die Stadt hinein zu fahren. Da spätestens bei der fünften und letzten Abfahrt kaum mehr Fahrgäste in die Stadt hinein wollen, kommen die Busse in diesem Fall jedoch nicht mehr zum Schlossplatz zurück, sondern rücken unterwegs in die Depots ein – auch ein Nachtbusfahrer muss irgendwann schlafen gehen. Genügten am Anfang zweiachsige Busse, müssen seit über zehn Jahren längst Gelenkbusse fahren, um dem Andrang gercht zu werden.
Es ist ein beeindruckendes Bild, wenn rund zehn Minuten vor der Abfahrtszeit nacheinander zehn Busse am Schlossplatz auftauchen, um ihn wenig später präzise, wie nach einer ausgeklügelten Choreographie, fast im Sekundentakt wieder zu verlassen. Rendez-vous-Prinzip heißt in der Fachsprache der Verkehrsfachleute dieser Ablauf: Alle Linien haben zur gleichen Zeit auf alle anderen Linien gegenseitig Anschluss, und der Fahrgast muss sich jeweils nur eine einzige Abfahrtszeit merken. Dass auf den Nachtbusfahrten jedoch auch manche Nutzer und Nutzerinnen untereinander Anschluss finden und somit dem Rendez-vous-Prinzip alle Ehre machen, ist sicherlich kein unerwünschter Nebeneffekt.
Inzwischen vor allen Feiertagen - Schwärmten die SSB-Nachtbusse anfänglich „nur“ in den Nächten zu allen Samstagen und Sonntagen und zu den einigen Feiertagen aus, so wird inzwischen in der Nacht zu sämtlichen Feiertagen gefahren, selbst nach dem Weihnachtsabend.
Auf Wunsch vieler Kunden rieselt aus den Wagenlautsprechern der Nachtbusse seit 2003 Musik nach dem Geschmack jungen Publikums, was sehr gut ankommt. Zusätzliche Werbung, wie noch 1995, als die SSB ihrem Nachtbusprospekt ein Kondom beilegten und damit für Aufsehen sorgten, braucht es nicht mehr – längst sind die Nachtbusse zum Selbstläufer geworden.
Konnten im Jahr 2002 nach einem Dutzend Jahren schon eine Million Kunden begrüßt werden, so ging im November 2010 der dreimillionste Fahrgast ins SSB-(Nachtbus-) Netz.
Doch schon im Jahr des zwanzigjährigen Jubiläums, zum Dezember 2010, hielt die SSB für das Nachtpublikum ein weiteres Bonbon bereit: Die ersten Ausrückfahrten der frühmorgendlichen Stadtbahnzüge zu den Endstationen wurden so weit vorverlegt, dass die letzte Abfahrt der Nachtbusse nicht mehr als etwa eine Stunde zurückliegt. Somit ist nun am Wochenende sozusagen rund um die Uhr Mobilität gewährleistet; auch ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit.
Spitzenreiter bei der Nachfrage sind normalerweise die Linien N5 nach Mönchfeld, N6 nach Fellbach und N7 nach Heumaden. Hier kommen pro Monat bis zu 2700, in Spitzenmonaten auch über 3200 Fahrgäste zusammen. Pro Verkehrstag und Abfahrt sind das bis zu 100 Fahrgäste pro Bus. Das heißt jedoch nicht, dass diese alle gleichzeitig mitfahren. Vielmehr steigen zum Teil auch unterwegs Nachtschwärmer zu, die sich um diese Zeit erst ins Nachtleben begeben. Am besten ausgelastet ist meist die fünfte Abfahrt, auch die dritte wird stark nachgefragt.
Seit Dezember 2011 läuft ein Versuch - Für zunächst zwei Jahre, bis Ende 2013, gehen die SSB-Nachtbusse auch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auf ihre Tournee, jedoch nur mit drei Abfahrten.
Resümee: Eine tolle und wirkungsvolle Einrichtung der SSB. Hier zeigt ein Unternehmen, das das gesunde Empfinden von „Nachtschwärmer“ voll berücksichtigt und vor allem die Menschen davor bewahrt, unter Umständen unter Alkoholeinfluss mit dem eigenen Auto zu fahren – ein echter positiver Beitrag für unsere Gesellschaft!
Alle Informationen über die Nachtbusse: SSB-Kundenservice * Telefon 0711-78853333 sowie unter: www.ssb-ag.de/Auswahl-Liniennetzplaene-714-0.html
Text und Foto: POSITIV-MEDIEN (Waldemar Herzog * PR-AAGVS)
|