Das Wort „Kubismus“ entstand im Jahre 1908. Zunächst wurde es für die Beschreibung einiger Werke des Künstlers George Braque benutzt. Den Begriff nahm man bald auch für ein Werk von Pablo Picasso aus dem Jahre 1907, das den Titel „Les demoiselles d` Avignon“ trägt. In kubistischen Gemälden sind die geometrischen Gebilde unübersehbar, von denen Paul Cézanne in Briefen um 1904 geschrieben hat.
Kubistisches Malen fing ohne die „Bezeichnung Kubismus“ schon damit an, dass man den Vorschlag von Paul Cézanne Folge leistete, in Allem geometrische Grundstrukturen zu sehen – wie Zylinder, Kugel und Kegel – und nun diese Formen entsprechend künstlerisch umzusetzen.
Wenn Motive nach diesen Prinzipien malerisch gestaltet werden, sprechen Kunsthistoriker heute allgemein von kubistischen Bildern. Die starke Attraktivität kubistischer Bilder brachte den in Paris weilenden Rainer Maria Rilke in den Jahren des ersten Weltkrieges zu der Vermutung, dass ihre geometrischen Formen sehr tief reichen, dass sie „die Bildstruktur gewissermaßen bloßlegen“ und das „subcutane Netz unter der Bildhaut an´s Licht schälen“. „Denn“, so schreibt er weiter „unter ihrem blühenden Gesicht sind natürlich alle Bilder irgendwie kubistisch gewesen in ihren Grundlagen und Geweben“ (Brief an Elisabeth Taubmann, August 1917). Tatsächlich ist es auch so, dass unser visueller Apparat im Kopf die mit den Augen betrachtete Szene in Kreise, Ringe, Linien, Kanten und andere geometrisch definierte Gebilde zerlegt.
Die Neurobiologie zeigt, dass wir analytisch kubistisch von Natur aus sehen. Der Kubismus stellt Gegenstände aus unterschiedlichen Perspektiven dar. Wir können einen Stuhl aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Von Oben, wenn wir davor stehen, seitlich, wenn wir davor sitzen, von Unten, wenn wir uns bücken und dann drunter schauen...
Die kubistisch arbeitenden Künstlerinnen und Künstler – kurz „Kubisten“ genannt – versuchten und versuchen alle diese unterschiedlich möglichen Blickwinkel gleichzeitig auf der Leinwand erscheinen zu lassen. Somit kann man den malerischen Ansatz des Kubismus auch als konzeptuell bezeichnen. (Concept Art , 1960er Jahre : eines der Grundprinzipien ist die „begriffliche Idee“ eines Kunstwerkes, nicht das optisch wahrnehmbare eigentliche Werk selbst. Oder: das Kunstwerk ist eine Idee oder ein Konzept).
Mit Cézannes späten Ölbildern beginnt die Entwicklung dieser Art von konzeptioneller Kunst; die Cézanne-Retrospektive im Pariser Salon d´Áutomne1907 war von überragendem Einfluss auf Picasso und Braque. Bei den Kubisten wurde und wird nicht unterschieden zwischen dreidimensionalen Gebilden, die sich dem Betrachter entgegen wölben (konventionelle Sehgewohnheit) und Formen, die sich perspektivisch verjüngen. Sie verflachen die Gegenstände zu Grundformen und bringen diese auf der Leinwand zeitlich gleichwertig auf. Hieraus entstehen flächig strukturierte Oberflächen in gedämpften Farben, so dass die Objekte kaum voneinander und von dem Raum (Leinwand), in und auf dem sie liegen, unterscheidbar sind.
Autorin: Ingrid Wiche
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